Sie sollen fliegen und siegen

Die Daumen in Nigeria sind gedrückt, wenn heute die Frauennationalmannschaft in der Vorrunde auf Fußballweltmeister Deutschland trifft. Mit einem erfolgreichen Spiel gegen den schwierigen Gegner könnte der Frauenfußball in Afrikas einwohnerstärkstem Land weiter an Beliebtheit gewinnen. Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack.

Kenny Ann Bebeyi und ihre Teamkolleginnen stehen dicht beieinander. Auf dem dunkelgrünen Kunstrasen haben sie einen Kreis gebildet und beten halblaut. Sie bitten Gott gar nicht mal um Siege; das wäre zu vermessen. Stattdessen wünschen sie sich, er möge sie beschützen und vor Verletzungen bewahren. Schon ein Sturz auf den meist holprigen und mit Steinen übersäten Fußballplätzen Nigerias könnte das vorläufige Ende ihrer Karriere bedeuten. Und Karriere wollen sie alle machen, gerade in diesem Moment.

Die „Super Falcons“
Vor den jungen Fußballerinnen liegt ein zweiwöchiges Turnier in Port Harcourt, wo sie die Hauptstadt Abuja vertreten. Gleichzeitig schielen sie aber auch nach Deutschland, wo die „Super Falcons“, wie sich die nigerianische Nationalmannschaft nennt, Afrikas Ehre retten und es ganz weit nach vorn schaffen soll.

Das wünscht sich auch Kenny Ann Bebeyi. Seit vielen Jahren kickt die heute 19-Jährige schon – und hatte Glück: Sie erhielt die Unterstützung ihres Vaters, der ihr sagte: „Spiel, wenn du willst.“ Eine liberale Einstellung in Nigeria. „Ich habe ihm erzählt, es ist einfach die Gabe, die mir Gott gegeben hat, und mein Vater hat es eingesehen“, sagt die schmächtige Spielerin und lächelt vorsichtig.

So viel Glück haben längst nicht alle jungen Frauen. Obwohl Nigeria bereits Anfang der 90er Jahre versuchte, professionellen Frauenfußball zu etablieren, halten sich viele Vorurteile bis heute. Fußball? Wie unweiblich! Wer kickt, bekommt später keine Kinder, und die Spielerinnen, die seien viel zu leicht bekleidet. Doch allmählich hat ein Wandel eingesetzt. Zu verdanken ist er den hervorragenden Falken, die als bestes Team Afrikas gelten – auch wenn sie bei Weltmeisterschaften bislang spätestens im Viertelfinale gescheitert sind.

Ruhm und Geld
Trotzdem motivieren die Erfolge den Spielernachwuchs, der feststellt: Mit Erfolgen auf dem Platz lassen sich Ruhm und Geld holen; der Sport wird als Einnahmequelle entdeckt. Daher ist, anders als in Deutschland, die Jagd nach Toren kein Hobby; es ist Kalkül. Auch wenn die Beträge klein sind und in der Anfangsphase häufig nur kostenloses Training, Unterkunft und Verpflegung drin ist, ist es ein möglicher Weg aus der Armut. Denn die meisten nigerianischen Kickerinnen kommen aus armen Elternhäusern.

Bis sie es allerdings geschafft haben und einigermaßen von ihrem Sport leben können, müssen sie viel auf sich nehmen. Schlechte Trainingsbedingungen sind nur eines der Probleme. Viel größer ist das des sexuellen Missbrauchs. Viele Trainer drohen: Nur gegen Sex stelle ich dich im nächsten Spiel auf. Kenny Ann Bebeyi schüttelt allerdings den Kopf. „Nein, mir ist das noch nie passiert.“

Nach Schätzungen vieler Szenekenner sollte sie damit eine Ausnahme sein. „Es ist ein großes Problem, über das tragischerweise niemand spricht“, sagt Yomi Kuku, der in Lagos die Organisation „Search and Groom“ leitet und gegen die Benachteiligung weiblicher Spielerinnen kämpft. Eine offizielle Kampagne, um auf Übergriffe von Trainern aufmerksam zu machen, hat es aber im Vorfeld der WM nicht gegeben. Auch mehr Geld für den chronisch unterfinanzierten Sport ist nicht geflossen. Siegen sollen die großartigen Falken am Donnerstag trotzdem.

Katholische Nachrichten-Agentur (http://www.kna.de) vom 29. Juni 2011.

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